Angespitzt durch meine Freundin und das schöne Herbstwetter habe ich mich mal mit der Marke Harley befasst. Mal wieder, denn vor vielen vielen Jahren war ich mal stolzer Besitzer einer Sportster 883.
Da ich in Zürich war, fand die Probefahrt dann auch dort und in der Umgebung statt.
Nun ist die Auswahl an Motorrädern bei Harley recht gross, und es gibt eigentlich nur wenige Modelle, die mir gefallen, nämlich nach wie vor die Sportster und die Road King Custom. Während die Sportster fast Aldi-Sonderangebote sind, muss man für die grossen satten 20 Kilo (Euros) hinlegen. Ein interessantes Motorrad ist noch die Dyna, die aufgrund der Fahrwerksgeometrie und Fussrastenanordnung sowas wie Fahrbarkeit erwarten lässt.
Da ich mit Bandscheibenproblemen die unbequeme aufrechte Sitzhaltung nicht so mag, war Komfort sehr wichtig. Also engte sich die Auswahl auf die Road King Serie ein, und da eine wunderschöne gelbe Road King Custom im Hof stand, war die Wahl dann schnell getroffen.
Hier mal ein Bild. Ich liebe diese Form, die mich an amerikanische Diesellokomotiven der 50er Jahre erinnert.

Nun denn. Das Gerät ist zunächst furchteinflössend lang, aber wenn man draufsitzt, ist alles nicht mehr so schlimm. Der riesige Lenker hilft enorm, auch wenn man manchmal glaubt, einen Balkenmäher vor sich her zu schieben.
Egal. Man lässt die Kupllung kommen, und siehe da, es bewegt sich und noch dazu dahin, wo es hingehen soll. Füsse auf die Fussrasten - schwups, wo sind die denn? Ach ja, da vorne. Der Verkäufer meinte das sei bequem, aber schon drei Blocks weiter weiss ich: Bequem ist anders.
Immerhin, man wurschtelt die Füsse auf die Trittbretter, es geht voran, man rollte locker mit 40-50 durch das radargespickte Zürich. Die Sonne lacht, der riesige Scheinwerfer spiegelt und der Motor blubbert leise vor sich hin. Nice.
Eigentlich könnte der Test schon hier aufhören, denn mehr wird nicht passieren. Man fährt bzw. gleitet mit dem Speed eines 125er Rolllers durch Stadt, Land und Autobahn, was man je nach Temperament als langweilig oder beruhigend empfinden wird.
Aber das wäre ja kein richtiger Test, wenn ich nicht noch ein wenig weiter fahren würde. Um aus Zürich herauszukommen, muss man über ein Stück Stadtautobahn. Ich sage es gleich, mehr als 110-120 bin ich nicht gefahren, 90-100 sind ideal, alles darüber zieht einem die Arme lang, auch wenn der Motor sicher mehr hergeben würde. Die ganze Fuhre ist, bis auf die Sitzposition, wirklich bequem, die Gabel sehr soft abgestimmt, und nur aus der Hinterhand kann man manchmal erahnen, welche Buckelauf der Strasse sind. Ich glaub gerne, dass man mit der Road King Tagestouren über 8 Stunden Fahrzeit realisieren kann. Man wird zwar nur halb so viele Kilometer machen wie mit jedem anderen Motorrad, aber die dafür doppelt so lang geniessen.
Landstrasse. Also für die Landstrasse ist die Road King wie gemacht, speziell für Schweizer Landstrassen, die oft schön breit sind und gut kontrolliert. Wie automatisch fällt man in den "Schweizer Rythmus", der etwa so geht: Ortsdurchfahrt 50, Landstrasse 75, Ortsdurchfahrt 40, Landstrasse 70, Ortsdurchfahrt 60, Landstrasse 60 und so weiter und so fort. Dafür ist die Roadking klasse, man kommt nicht mal mehr auf die Idee, überholen zu wollen. Elegant schwingt sie dahin, etwas losgelöst von allem drum rum. Das hat was, das sage ich jetzt ohne Ironie.
Wenn man etwas weiter von Zürich wegkommt, gibt es hübsche kleine Strässchen, und auch hier macht die Road King eine gute Figur, man darf es aber nicht eilig haben und sollte freundlicher Weise den von hinten drängelnden Mofafahrern Platz machen. Das Riesenschiff ist erstaunlich handlich und mühelos zu fahren, auch wenn die Kurvenradien oft grösser ausfallen als geplant. Aber auch hier: Der Blick bleibt frei für die Landschaft. Genuss pur. Welch ein erhabenes Gefühl muss das sein, mit diesem Teil morgens auf Tour zu gehen, irgenwo auf der Welt.
Schon gemerkt? Motor und Bremsen blieben unerwähnt. Das nicht ohne Grund, denn sie bleiben fast unauffällig und tun ihre Arbeit. Der Motor blubbert angenehm ruhig vor sich hin, nur im Leerlauf weiss man immer, wo welcher Kolben gerade hin will. Wenn man mal nach unten schaut, meint man der Motor wolle sich gleich aus der Verankerung lösen und irgendwo hinlaufen, so hoppelt er im Rahmen herum. Aber ok, who cares? Die Bremsen sind etwas gewöhnungsbedürftig, was aber mehr an der ungewohnten Radlastverteilung liegt. Wenn man vorne und hinten gleichzeitig bremst, verzögert die Fuhre auch. Aber in der Regel ist Bremsen gar nicht nötig, man rollt aus oder schaltet in Notfällen einfach runter. Es ist ja auch so: Da man so langsam ist, befinden sich alle anderen hinter einem und nicht vor einem, was freien Blick auf die Alpen gewährleistet und so das Fahrvergnügen deutlich stärkt.
Sehr schön ist die Road King bei kleinen Pausen. Ich werde noch Fotos nachreichen, hoffe ich, aber auf einem Parkplatz macht sie eine unvergleichlich gute Figur, knistert verheissungsvoll vor sich hin. Und, ich bin selbst erstaunt, lässt sich vergleichsweise einfach handhaben und rangieren.
Aber jetzt muss ich zurück. Leider habe ich mich verfahren und kreise nun seit einer Dreiviertelstunde durch die Zürcher Innenstadt. Ich sage ja immer, die Qualitäten eines Motorrads erschliessen sich nach einer Stunde Rushhour, und ich muss sagen, hier schlägt sie sich wacker. Geduldig umrunden wir Block für Block, bleiben stehen, fahren an, immer wieder. Die Kupplung ist herzhaft, aber brauchbar, der Motor überhaupt nicht zickig, nur die Vibrationen sind heftig. Ich denke besorgt an meine Kameraausrüstung und frage mich, ob sie einen Tagesausflug überstehen würde. Mich selbst stören die Vibrationen nicht, aber ich könnte mir schon vorstellen, dass das ein oder andere Teil daran zerbröselt.
Nach zwei-einhalb Stunden bin ich zurück. Wenn man so sagen könnte: Wir sind Freunde geworden. So etwa nach dem Motto: Tu mir nix und ich tu Dir auch nix und dann haben wir eine gute Zeit, egal was kommt.
Rein rational gesehen, kann die Road King nichts, was ein 250er Roller nicht auch könnte, wenn man mal vom Schow-Effekt absieht. Ganz klar. Eine Tschibo-Uhr zeigt die Zeit genauso genau an wie eine Rolex.
Aber ein Motorrad muss auch ein wenig Phantasie transportieren. Mit einer GS hat man wenigstens das Gefühl, man könnte damit nach Patagonien fahren, auch wenn man es vielleicht nie tun wird. Und mit der Road King?
Mit der Road King an die Loire? Aber ja! Mit der Road King nach Paris? Sicher doch! Mit der Road King durch die Alpen? Gerne, aber bitte zwei Tage einplanen. Mit der Road King nach Portugal oder Sizilien? No Problem.
Ich muss meine Meinung revidieren. Dachte ich bisher, dass eine HD für Zahnärzte wäre, die mal nach Feierabend "Wilden Mann" spielen wollen, muss ich zumindest bei der Road King zugestehen, dass es sich um ein ungewöhnlich zeitgemässes Konzept handelt.
Die Amerikanisierung der Gesellschaft hat auch vor dem Verkehr nicht haltgemacht. Tempolimits und Kontrollen haben dafür gesorgt, dass wir durch die Gegend schleichen wie die Amis, so ist es auch nicht erstaunlich, dass das passende Motorradkonzept von dort importiert wird.
Egal. Am Ende ist immer entscheidend, was übrige bleibt. Das Teil hat was, ist bequem und macht Lust auf mehr. Von welchem Motorrad kann man das heute noch sagen?
Gruss
Stephan